Selbstfürsorge
Was für ein schönes Wort, das Regula da geprägt hat. Es hat mich die ganze zurückliegende Woche begleitet. Ja, ich habe mir Mühe gegeben, mehr für mich zu tun, oder einfach mal weniger zu tun und die Vowürfe, die ich dafür erhielt, einfach zu ignorieren. Dabei half mir auch die Lili aus Erfurt, die mich fast jeden Tag anruft und mich unter anderem darin bestärkte, die Nähmaschine, mit der ich mich noch nicht angefreundet habe, stehen zu lassen und keinesfalls unter Druck zu versuchen, irgendwelche Masken zu produzieren.
Apropos "Masken": Darf man das denn überhaupt noch sagen? Oder verletzt man bereits durch den Gebrauch ganz normaler und gebräuchlicher Wörter die angemaßten Rechte irgendwelcher geldgieriger Säcke, die aus dem Bedarf der Menschen Profite schlagen wollen, ohne dafür auch nur einen Finger zu rühren?
Ach, die Mutti wieder…
Wisst ihr, wenn ich hier über meine kleine alte Frau schreibe, dann will ich keinesfalls jammern oder euer Mitleid erregen oder so etwas. Es ist nur so, dass ich hier über mein Leben berichten will, schon allein, um nichts zu vergessen und auch nächstes Jahr oder in fünf Jahren nachlesen zu können, was sich im Frühjahr 2020 so zugetragen hat. Tja, und zu diesem meinem Leben gehört die keine alte Frau nun mal dazu. Sie hat sich ihren Platz in meinem Alltag … ja, wie soll ich sagen… ertrotzt? Ja, so könnte man das sagen. Normalerweise lassen Eltern ihre erwachsenen Kinder gehen und mischen sich nicht in deren Leben ein, bleiben jedoch immer in Bereitschaft, ihren Kindern zu helfen, wenn dies gebraucht und gewünscht wird. Das sieht die kleine Frau anderes. Sie ist der felsenfesten Meinung, dass sie zu bestimmen hat, wie ein erwachsenes Kind zu leben und sich zu verhalten hat. Ähm, zumindest bei mir meint sie, dieses Recht zu haben. Und das versucht sie dann mit allen Mitteln durchzusetzen. {Manipulieren/ schlechtes Gewissen erzeugen/ ningeln, wie allein sie ist/ sich tüddelig stellen, obwohl sie’s gar nicht ist/ unwahre Behauptungen aufstellen/ bis hin zu der Aussage "Na, da kann ich mich ja auch gleich auf den Friedhof legen" [wenn du nicht machst, was ich will] Letzteres spricht sie dann nicht aus, das hört man aber am Tonfall.}
Nun kenne ich aber fast alle Register, die sie üblicherweise zieht. Und ich kenne sie lange genug, um mich nicht mehr davon beeinflussen zu lassen. Früher, vor ein paar Jahren, begehrte ich dagegegen auf. Inzwischen sage ich mir, ach, lass sie doch.
Dennoch gehört sie nun mal zu meinem Leben und, weil meine Schwester weit weg ist, ich aber greifbar bin, auch zu meinem Alltag. Und deshalb erwähne ich sie hier auch immer wieder.
Eben schrieb ich, ich kenne fast alle ihrer Tricks. Tja, da hat sie sich doch tatsächlich seit etwa zwei Wochen was Neues einfallen lassen. Da ich momentan mehr Zeit habe, widme ich ihr auch mehr davon. Dabei fiel mir auf, dass sie andauernd kleine Sticheleien anbringt und dafür auch gern mal die Unwahrheit sagt. Früher machte sie das auch schon, aber nur, wenn meine Schwester oder meine Nichte da waren. Also, wenn sie Menschen in der Nähe hatte, die ihr wohlgesonnen sind und sich um sie kümmerten, so dass sie mich gerade nicht brauchte. Und sie machte das nicht wirklich böse oder hinter meinem Rücken, nein, das nicht. Im Gegenteil, wenn ich dabei war, ließ sie so kleine Boshaftigkeiten los. Sagte eben beispielsweise zu meiner Nichte. Schön, dass du mit mir einkaufen gegangen bist. Die da macht das ja nicht. Wenn ich dann intervenierte, dass wir doch jeden Donnerstag gemeinsam einkaufen, meinte sie: Naja, einmal die Woche, das ist doch nix. Und lachte dabei. Das sollte dann also ein Scherz sein. Nur dass diese Scherze immer auf meine Kosten gingen.
Und genau das macht sie jetzt andauernd. Immer so kleine Sticheleien. Ich habe schon mal gesagt, sie soll nicht immer so frech zu mir sein. Da lacht sie und sagt: Wer kleine alte Frau zu mir sagt, muss das aushalten.
Ich hielt dann auch mit einem Lachen dagegen: Gut, wenn dir das nicht gefällt, sage ich eben nur noch kleine Alte!
Ja, ihr Lieben, das ist alles Alltag. Trotzdem tut es mir manchmal weh. Wahrscheinlich, weil wohl jeder von uns in dieser Gesamtsituation etwas dünnhäutiger wird. Auch ich.
Der Sohn übrigens lacht darüber und sagt: Mutsch, lass sie doch. Solange sie sich diese kleinen Spitzfindigkeiten ausdenkt, bleibt ihr Geist rege. Da freu dich drüber, dass sie das noch kann.
Da hat er ja nun auch wieder recht.
Und sonst so?
Ich habe diese Woche keine Stichworte notiert, so dass ich nicht mehr alle Einzelheiten weiß.
Wochenende, 18. und 19. April
Das Wochenende verbrachte ich im Garten und holte natürlich die Mutti dazu. Sie hält es bekanntich abends nicht so lange aus. Klar, da kommen ja dann auch ihre Serien im Fernsehen und was sonst noch. So gegen 18 Uhr möchte sie heim. Und ich? Stelle, wenn ich von ihr zurück komme, das Auto auf den Parkplatz und laufe noch mal rüber in den Garten. Dort zieht dann so eine feine abendliche Ruhe ein. Dämmerung senkt sich, der Abendstern geht auf. Menschen verschwinden in ihre Wohnungen. Amseln hüpfen über die Wiese zu meinen Füßen. Der Sohn stellt mir ein dunkles Bier hin. Ich genieße das sehr, merke aber rasch die Wirkung, weil es seit Weihnachten in Tschechien mein erstes Bier war. *lach*
Montag, 20. April
Ich arbeite an unserem neuen Projekt. C. hat mir das überarbeitete Konzept zukommen lassen und ich lese Korrektur und merke noch ein paar Kleinigkeiten an. Zwischendurch beanspruchen mich immer wieder die Exkollegen, die unbedingt erreichen wollen, dass ich in die Firma zurückkehre. Der Chef will das nicht, weil ich schließlich Geld koste. Alle sagen, dass er, wenn er mich einspart, an der falschen Stelle spart. Alle sehen das so, außer ihm.
Dienstag, 21. April
Dieser Tag gehört der Mutti. Sie hat schon seit Monaten einen Termin in der Augenklinik zum Lasern. Ich bringe sie hin, warte knapp 2 Stunden im Auto auf sie {ich will mich nicht in des überfüllte Wartezimmer hocken, obwohl ihr das lieber wäre} und bringe sie danach wieder nach Hause. Auf dem Heimweg fahre ich durch die Eisenbahnstraße, wo all die kleinen türkischen, arabischen oder anderen Läden geöffnet haben und die Gemüseauslagen mit ihrem vielfältigen Sortiment locken. Ich fahre langsam und zeige der Mutti all die feinen Sachen, bis sie sagt: Na, da halt doch mal an und hol dir was. {Hihi, das Ningeln funktioniert anscheinend auch in der umgekehrten Richtung.} Sie will nicht im Auto bleiben, hat Angst vor dem schlechten Ruf der Eisenbahnstraße. Naja. Dann kommt sie eben mit. So sieht sie am besten, dass die kleinen Läden nichts gefährliches an sich haben. Für mich haben sie immer so etwas von Urlaub an sich. Urlaub im Mittelmehrraum. Daran erinnern mich die Läden daran. Und ich genieße das.
Gekauft habe ich verschieden Sorten Paprika, die alle viel frischer und viel aromatischer sind, das ihre Artgenossen im Supermarkt. Ich freue mich schon auf den Salat zum Abendbrot. Ach ja, und mein Lieblingsfladenbrot gibt es natürlich auch.
Mittwoch, 22. April
Sofatag. Das Wetter ist bäh. Zwar scheint die Sonne, aber es ist wieder kalt geworden. Ab Mittag ziehen Wolken auf. Ich lese viel. Am Abend lädt mich der Sohn auf einen Döner in den Garten ein. Hach, wie schön.
Donnerstag, 23. April
Laut Wettervorhersage sollte sich der Wind legen. Das tat er nicht, aber er war warm und angenehm. Deshalb plante ich einen Gartentag mit Mutti. Der verlief recht schön. Ihre kleinen Stänkereien übersah ich einfach.
Als ich die Post aus dem Kasten holte, kam die Welt vollends in Ordnung, weil der schriftliche Bescheid über die Grundversorgung dabei war. Die Miete ist nun wirklich gesichert und hält mir den Rücken frei, meine Projekte voran zu treiben, ganz besonders natürlich das gemeinsame mit C.
Freitag, 24. April
Am Morgen war ich mit dem Sohn unterwegs. Da musste verschiedenes erledigt werden. Außerdem waren wir im Gartencenter, zogen aber unverrichteter Dinge wieder ab. Dafür luden wir uns bei Mutti zu einem späten Frühstück ein. Danach ließ ich ihr ihren Willen und brachte sie zum Supermarkt. Sie wollte unbedingt dort himein. Hatte mir am Donnerstag schon gesagt, dass sie das erzwingen werde, weil ich ja nicht mit ihr einkaufen gehe. Also müsse sie das allein machen. Schließlich brauche sie Lebensmittel. Früher sind wir jede Woche einkaufen gegangen und jetzt verbietest du mir das. Dass ich vor genau einer Woche einen riesen Einkauf für sie erledigt hatte, wollte sie nicht wahrhaben, bis ich ihr anhand von Einkaufs- und Kassenzettel nachwies, dass es tatsächlich erst eine Woche her war. Da gab sie dann zu, dass es eben schöner ist, wenn sie selbst durch die Regale streift und dass sie das unbedingt wolle. Schließlich hätte sie eine Maske und nähme auch ihr Desinfektionsmittel mit. Nunja. Mir fehlte die Kraft, dem etwas entgegenzusetzen und ich brachte sie zum N-Markt.
Mit Verspätung komme nun auch ich zu Andrea in die Plauderecke.
Habt einen schönen Sonntag und bleibt gesund,
eure Mira
Liebe Mira,
gerne lese ich deine Alltagsgedanken und bemerke, wieviel Raum deine Mutter in deinem Leben hat…vieles von dem du schreibst kenne ich auch von dem Verhältnis zu meinen Eltern und meiner Schwiegermutter…sie machen sich irgendwann ihre Wahrheit …das ist das kindliche das im Alter wohl wieder entsteht.
Viel Kraft wünsche ich
Augusta
Liebe Augusta, ja, sie nimmt viel Raum ein, die kleine Frau, aber irgendwann wird sie mal gar keinen Raum mehr einnehmen können, und deshalb lasse ich es jetzt zu, dass sie meine Zeit beansprucht, wenn ich diese Zeit denn habe. Und derzeit habe ich ja gerade mal mehr Zeit, als in den letzten 30 Jahren zusammen.
Liebe Grüße zu dir.
die Mira